Die Psychosoziale Beratungsstelle für Alkohol-, Medikamenten-, Drogenprobleme, Essstörungen und Glücksspielsucht – kurz Suchtberatung genannt – stellt ihren Jahresbericht aus dem Coronajahr 2020 vor. Wie überall war alles anders als sonst.
Die Zahl der Hilfesuchenden ist mit 342 regelmäßig und 264 einmalig Betreuten nur leicht gestiegen, allerdings nahm die Anzahl der Kontakte um fast 800 zu. Dies bedingt sich durch den erhöhten Beratungsbedarf aufgrund von vermehrten Krisensituationen infolge der Corona-Pandemie, aber auch den veränderten Arbeitsbedingungen. So mussten beispielsweise die Bedingungen für Entwöhnungsbehandlungen täglich neu erfragt werden, weil z.B. Entgiftungseinrichtungen und Fachkliniken geschlossen wurden, um Betten für Corona-Notfälle freizuhalten.
Wenn Einsamkeit und Ängste, Frust und Probleme durch Alkohol, Medikamente oder Drogen „runtergespült“ und verdrängt werden, wenn Essen oder Nichtessen das Einzige ist, was man vermeintlich noch kontrollieren kann, oder wenn außer dem Glücksspiel am PC keine Freizeitbeschäftigung mehr möglich ist, dann kann man schnell und unbemerkt in eine Abhängigkeit rutschen. Sucht ist traditionell eine Erkrankung, die lange im Verborgenen abläuft – die Corona-Pandemie bietet einen optimalen Nährboden für die Entwicklung von Abhängigkeit, es ist zu erwarten, dass sich dies in den nächsten Jahren zeigen wird.
Aus diesem Grund war die Suchtberatung während der gesamten Zeit unvermindert für die Klienten und ihre Angehörigen da und zu den gewohnten Öffnungszeiten erreichbar. Es wurde zudem versucht, Klienten auch durch gezielte Anrufe aufzufangen, ihnen Gespräche und Unterstützung anzubieten.
Wo immer möglich wurden Beratungsgespräche auf Telefontermine umgestellt (so fanden rund 700 telefonische Beratungen statt, die im Normalfall als persönliches Gespräch durchgeführt worden wären) – eine Situation, die gerade für Klienten, die schon vor der Coronazeit isoliert gelebt hatten, oft zur Vereinsamung geführt haben. Deshalb waren auch immer persönliche Gespräche möglich – wobei sich die Beratungsatmosphäre in Form der Beratung „auf Abstand“ und der fehlenden Mimik durch die Maskenpflicht verändert hat. Erleichtert wird dies durch die inzwischen ebenfalls mögliche Videoberatung.
Suchtdruck und Rückfälle, aber auch weitere psychische Probleme wie z.B. Depressionen oder Ängste waren häufig die Folge der veränderten Lebenssituation. Die Gespräche v.a. in Zeiten des Lockdowns waren geprägt von Angst und Verunsicherung durch die unklare Pandemie-Situation, aber auch von Einsamkeit und „Lagerkoller“ in kleinen Wohnungen oder infolge der Kontaktbeschränkungen, von Familienkonflikten (z.B. durch homeoffice bei gleichzeitiger Betreuung der Kinder), Gewalt und von finanziellen Problemen (Kurzarbeit oder Verdienstausfall bei Selbständigen führten nicht selten zu existenziellen Schwierigkeiten). Auch Klienten, die im Vorfeld der Pandemie bereits stabil und suchtmittelfrei waren, mussten ihre Umgangsmöglichkeiten mit Gefühlen bzw. in Krisen neu überdenken und anpassen sowie ihre Freizeitgestaltung und Alltagsstrukturierung verändern. Das wird z.B. an einem jungen Mann mit Medienabhängigkeit deutlich, der kurz vor der Pandemie wieder begonnen hatte, Kontakte zu pflegen, Sport zu treiben und einen VHS-Kurs zu besuchen – all dies war mit einem Mal nicht mehr möglich.
Nahezu sämtliche geplanten Gruppen- und Präventionsangebote der Suchtberatung waren aufgrund der Corona-Pandemie 2020 nicht möglich und mussten auf Eis gelegt werden. Die Selbsthilfegruppenarbeit v.a. der vier im Landkreis Rhön-Grabfeld ansässigen Kreuzbundgruppen für Alkohol- und Medikamentenabhängige sowie Angehörige kam in Zeiten der Kontaktbeschränkungen nahezu vollständig zum Erliegen. Lediglich kurzzeitig waren Gruppentreffen im Sommer 2020 auf persönlicher Ebene möglich, natürlich unter den jeweils geltenden Hygieneregelungen. Zwischendurch hielten die Berater zwar mit den Gruppensprechern und diese mit ihren Gruppenmitgliedern über digitale Medien Kontakt, dies ersetzte aber in keinster Weise den so wichtigen Austausch, der Entlastung, aber auch Hilfe und Unterstützung bedeutet.
Die vielen Hilferufe, die die Suchtberatung gerade in Pandemiezeiten erreichten, aber auch die Gespräche mit Betroffenen und Angehörigen machten immer wieder deutlich, welch wichtigen Beitrag die Suchtberatung zur Sicherung des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens leistet.